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Mittwoch, 28. Oktober 2015

Shanghai - Texte



 

Wohnsituation in Shanghai
Shanghai galt früher in China traditionell als eine der Städte mit großer Wohnungsnot.
Die jahrzehntelange Vernachlässigung der Infrastruktur und des Wohnungsbaus, aber auch die schnelle Entwicklung in den letzten Jahren haben viele Engpässe für die weitere Entwicklung der Stadt offenkundig werden lassen.
Nach wie vor prekär ist die Versorgung mit Wohnraum, wenn sich auch nach offiziellen Angaben der Stadtregierung die Netto-Wohnfläche pro Kopf in der Zeit zwischen 1957 (drei Quadratmeter) und heute (neun Quadratmeter) verdreifacht hat. Die kommunistische Stadtregierung war keineswegs untätig gewesen, bereits seit Anfang der 1950er Jahre wurden die Wohn- und Lebensverhältnisse in rund 300 Stadtvierteln mit unzureichendem Standard verbessert und viele neue Wohngebiete errichtet.
Trotzdem kam der Bau von Wohnungen dem wachsenden Bedarf aus Mangel an Kapital über Jahrzehnte nur ungenügend nach. Shanghai galt früher in China traditionell als eine der Städte mit großer Wohnungsnot. Erst seit Beginn der Wirtschaftsreformen fand eine Belebung des Wohnungsbaus statt: Seit Anfang der 1980er Jahre wurde die gesamte Wohnfläche in Shanghai mehr als verdoppelt. Die Verbesserung des Angebots an Wohnraum war verbunden mit einer begrenzten Wohnungsreform, die unter anderem durch Förderung des Wohnungseigentums und die Einrichtung von öffentlichen Akkumulationsfonds die Investitionsmittel zu vergrößern suchte.
So sank der Anteil von Haushalten in akuter Wohnungsnot, das heißt mit weniger als vier Quadratmetern Wohnfläche pro Kopf bis heute auf knapp unter zehn Prozent aller Haushalte. In Shanghai sind es vor allem die Altstadtviertel, die zudem von zahlreichen Industriebetrieben durchsetzt sind, in denen immer noch sehr drangvolle Wohnbedingungen herrschen. Da der Baugrund in den älteren Wohngegenden im Stadtzentrum sehr teuer ist, hat die Stadtregierung den Grund und Boden teilweise an ausländische Investoren verkauft, die Büro- Geschäfts- und Hotelkomplexe errichteten. Als Folge dieser Praxis kam es in Verbindung mit zahlreichen Verkehrsprojekten zu großflächigen Sanierungen in der Altstadt und Zwangsumsiedlungen von mehreren Hunderttausend Menschen in Neubausiedlungen am Stadtrand mit unzureichender Infrastruktur.
Die genannten Wohnungsdaten beziehen sich nur auf die Bewohner mit Hauptwohnsitz in Shanghai, die Wohnsituation der rund drei Millionen Einwohner mit beschränkter Aufenthaltsgenehmigung ist deutlich schlechter. Zahlreiche Migranten leben auf den Baustellen, in einfachen Betriebs-Wohnheimen oder sie mieten sich einen Raum bei Bauern an der Peripherie der Stadt. Ein großer Teil der temporären Einwohner lebt am Stadtrand, weil dort eher Platz für selbstgebaute Hütten vorhanden ist und die Polizeikontrollen weniger scharf sind. Slumähnliche Siedlungen sind seit den 1990er Jahren auch in Shanghai zu finden.

 


 

Bevölkerungsentwicklung in Shanghai
Der wirtschaftliche Erfolg in Shanghai übt auf Millionen Chinesen eine große Anziehungskraft aus.
Um den Zustrom von Menschen in die Stadt kontrollieren zu können, wird der Zuzug durch ein streng gehandhabtes Melde- und Registrierungssystem für Einwohner mit ständigem Wohnsitz bis in die Gegenwart kanalisiert. Die Einwohnerzahl blieb trotz der Tatsache, das Shanghai die ökonomisch dominierende Stadt in China war, nach einem schnellen Anstieg in den 1950er Jahren bemerkenswert konstant.
Innerhalb der heutigen Grenzen der Stadtprovinz lebten 1952 8,5 Millionen Menschen, 1957 waren es 10,1 Millionen und am Beginn der Wirtschaftsreformen im Jahre 1979 11,3 Millionen. Der rasche Bevölkerungszuwachs in den 1950er Jahren hatte die unzureichende Infrastruktur, den knappen Wohnraum und die Probleme bei der Versorgung so drängend deutlich gemacht, das 1957 eine durchgreifende Kontrolle der Zuwanderung durchgesetzt wurde. Wer dauerhaft in der Stadt leben wollte, benötigte eine entsprechende Wohnberechtigung. Nur wer registriert war, konnte die Zuteilung einer Wohnung erwarten und hatte Anspruch auf einen Arbeitsplatz oder die tägliche Reisration.
Gegenwärtig gehört Shanghai zu den größten Städten der Welt. Lebten 1957 noch 6,3 Millionen Menschen in der eigentlichen Stadt, sind es heute 9,2 Millionen, in der ganzen Stadtprovinz 13,4 Millionen. In der zuletzt genannten Zahl ist auch die Bevölkerung der ländlichen Gebiete außerhalb der Stadt mit eingerechnet. Dabei handelt es sich um die Bewohner mit ständigem Wohnsitz. Dazu kommen noch etwa drei Millionen Menschen die sich länger als sechs Monate in der Stadtprovinz aufhalten und eine befristete Aufenthaltsgenehmigung besitzen.
Das offizielle Bevölkerungswachstum der Stadtprovinz wird zurzeit ausschließlich durch Zuwanderung gesteuert, denn der natürliche Zuwachs der registrierten Dauereinwohner wird seit mehreren Jahren durch ein Geburtendefizit geprägt, das bislang in allen Städten Chinas einmalig ist. Lag das jährliche natürliche Wachstum der Einwohner mit dauerhaftem Wohnsitz 1957 noch bei etwa 40 Prozent, so sank diese Rate schnell unter zehn Prozent und schließlich auf einen negativen Wert von -1,4 Prozent.
Ist die Zuwanderung der ständig registrirten Bewohner nach wie vor relativ begrenzt, so bereiten der Stadt zunehmend die sogenannten temporären Einwohner Probleme. Eine Genehmigung einer zeitlich begrenzten Aufenthaltsgenehmigung ist im Gegensatz zur restriktiv gehandhabten Erteilung einer dauerhaften Wohnerlaubnis leicht zu bekommen. Nur so kann der Druck der Zuwanderung einigermaßen bewältigt werden, denn die größte Metropolregion Chinas absorbiert wie keine andere im Land Menschen aus einem weiten Hinterland. Deren Anzahl hat sich seit 1990 mehr als verdoppelt. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung der Stadtprovinz beträgt rund 20 Prozent, wobei eine Dunkelziffer von erheblicher Größenordnung vorhanden ist.
Etwa 80 Prozent dieser Migranten sind fühere Bauern aus den ländlichen Regionen Chinas, drei Viertel von ihnen aus den Nachbarprovinzen Anhui, Jiangsu und Zhejiang, die auf der Suche nach einer Arbeitsstelle in die Metropole ziehen. Sie arbeiten täglich bis zu 16 Stunden, viele auf den unzähligen Baustellen der Stadt, um zu überleben und Geld für die Familie zu Hause zu sparen.
Ihre Bedeutung wird die Wirtschaft und das Leben in Shanghai wird unterschiedlich beurteilt. Einerseits sind die Zuwanderer fast unentbehrlich als Bauarbeiter, Handwerker, Kleinhändler oder Arbeiter bei der Straßenreinigung und in den Textilfabriken, andererseits wird ihr Druck auf den Wohnungsmarkt, die Infrastruktur und ihr Anteil an kriminellen Delikten in der Stadt mit Sorge betrachtet.
Die gegenwärtig 9,2 Millionen Bewohner mit dauerhaftem Wohnsitz in Shanghai leben auf einer Fläche von 550 Quadratkilometer. Die Bevölkerungsdichte beträgt 16.843 Einwohner je Quadratkilometer. In Berlin sind es zum Vergleich 3.800.
In den ländlichen Regionen außerhalb der Stadt leben 4,1 Millionen Menschen mit Hauptwohnsitz in der Stadtprovinz auf einer Fläche von 5.790,5 Quadratkilometer. Die Bevölkerungsdichte dort beträgt 707 Einwohner je Quadratkilometer. Die 13,4 Millionen registrierten Dauereinwohner der Stadtprovinz beziehungsweise Metropolregion leben auf einer Fläche von 6.340,5 Quadratkilometer. Die Bevölkerungsdichte beträgt 2.106 Einwohner je Quadratkilometer.

 


 

Entwicklungszone Pudong

Die Entwicklungszone Pudong im Osten Shanghais wurde am 18. April 1990 offiziell eröffnet, um den Prozess der Reform- und Öffnungspolitik zu beschleunigen.

Wo vor 20 Jahren nichts außer Ackerland war, ragen heute eindrückliche Wolkenkratzer in den Himmel. Das moderne Pudong gilt heute als Wirtschaftsmotor Chinas und als Vorbild der Reform- und Öffnungspolitik. In den folgenden Minuten schauen wir uns diese aufblühende Entwicklungszone etwas genauer an.

Die Entwicklungszone Pudong erstreckt sich über eine Fläche von 1.210 Quadratkilometer im Osten von Shanghai. Sie wird von etwas über vier Millionen Menschen oder rund 20 Prozent der Shanghaier Bevölkerung bewohnt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Pudong stieg von sechs Milliarden Yuan RMB im Jahr 1990 auf über 400 Milliarden Yuan RMB im Jahr 2009. Im selben Zeitraum erhöhte sich Pudongs Finanzergebnis von 1,1 Milliarden Yuan RMB auf 135,6 Milliarden Yuan RMB.

Die Finanz- und Handelszone Lujiazui veranschaulicht die Veränderung von Pudong sehr gut. Lujiazui ist die erste staatliche Finanz-Entwicklungszone in China.

Heutzutage ragen in Lujiazui in Pudong zahlreiche Wolkenkratzer wie das Shanghai World Financial Center mit einer Höhe von 492 Metern oder der 420 Meter hohe Jinmao-Tower in den Himmel. Hunderte Finanzunternehmen aus dem In- und Ausland haben sich hier niedergelassen. Lujiazui wird daher oft auch als „Finanzwald" bezeichnet.

In ihrer 20-jährigen Entwicklung hat die Pudonger Verwaltung großen Wert auf die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur gelegt. Vor allem der öffentliche Dienstleistungssektor wurde stark gefördert. Auch das Konzept der nachhaltigen Entwicklung wurde bei der Entwicklung von Pudong miteinbezogen.

Im Jahr 2009 betrug der Anteil des tertiären Sektors in Pudong über 50 Prozent. Die Investitionen in die wissenschaftliche Forschung und Entwicklung machten drei Prozent von Pudongs BIP aus.

Der Zhangjiang High-Tech-Park wurde im Juli 1992 gegründet und gehört zu den wichtigsten High-Tech-Zonen in Pudong. Im Park sind zahlreiche internationale Unternehmen angesiedelt, die integrierte Schaltkreise, Biopharmazeutika oder Software herstellen. Allein im Jahr 2009 betrug der Gesamtumsatz des Zhangjiang High-Tech-Parks über 100 Milliarden Yuan RMB.

Wie überall auf der Welt heißt auch in Pudong die neue Zauberformel „Wirtschaft mit niedrigem CO2-Ausstoß". Im Lingang-Industriepark wurde diese Formel bereits umgesetzt. Hier werden seit kurzem schwere umweltfreundliche Anlagen, etwa für die Nutzung von Windenergie, produziert. Bekannte Hersteller von Windenergie-Anlagen wie das deutsche Unternehmen Siemens Shanghai Electric Corporation (SEC), oder die chinesische Elektrofirma Huayi, haben sich im Lingang-Industriepark niedergelassen.

Um den Anforderungen nach einer kohlenstoffarmen Wirtschaft gerecht zu werden, setzt auch die Verwaltung des Lingang-Industrieparks gezielt auf umweltfreundliche Energieformen.

Im Südosten Pudongs gibt es einen künstlichen Süßwassersee, der gleich groß ist wie der malerische Westsee in Hangzhou. Um diesen See herum ist die neue Stadt Lingang entstanden, in welcher der Tourismus schwerpunktmäßig gefördert wird. Anstatt auf fossile Brennstoffe setzt Lingang auf umweltfreundliche Energie wie die Sonnenenergie oder die Geothermik. Das Regenwasser und der Abfall werden in Lingang systematisch gesammelt und wiederverwertet. Lingang soll langfristig zu einem Musterbeispiel grüner Stadtarchitektur werden.

 

 


 


 

Wanderarbeiter in China: Knechte des Booms

Von Kai Lange

Wer zahlt den Preis für Chinas Wirtschaftswunder? Amnesty International hat den Alltag chinesischer Wanderarbeiter dokumentiert. Die Bilanz: 200 Millionen Menschen werden Tag für Tag betrogen und verheizt – und China riskiert seine Zukunft.

[…] Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International greift in einem neuen Bericht auf viele Beispiele zurück, um die tägliche Diskriminierung der Wanderarbeiter zu illustrieren. Das kommunistische Regime in Peking toleriert Arbeitsbedingungen, die an die dunkelsten Stunden des Frühkapitalismus erinnern – gleichzeitig betont Ministerpräsident Wen Jiabao während des Volkskongresses, dass soziale Gleichheit und Gerechtigkeit in China "bewahrt" werden müssen.

"Kosten des Wirtschaftswunders"

Der Amnesty-Bericht "China: Die menschlichen Kosten des Wirtschaftswunders" unterstreicht jedoch: Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Die Zahl der Wanderarbeiter, die vom Land in Chinas boomende Städte sowie in die Küstenregionen ziehen, ist seit 1980 von zwei Millionen auf rund 200 Millionen gestiegen. Bis 2015 werden es wohl 300 Millionen Menschen sein. Beobachter sprechen von der "größten Migrationsbewegung in Friedenszeiten".

Das Heer der billigen Arbeitskräfte hat Chinas Aufschwung erst ermöglicht. Sie ziehen Chinas moderne Metropolen hoch und leisten Schichtarbeit in den Fabriken an der südchinesischen Küste. Obwohl sie die gefährlichsten und schwierigsten Arbeiten leisten, werden ihnen Grundrechte verwehrt, betont Amnesty: Viele von ihnen seien unterbezahlt und ohne Krankenversorgung, und ihre Kinder dürften nicht die staatlichen Schulen besuchen.

Ein Lohn von umgerechnet zwei bis drei Euro pro Tag reicht kaum zum Überleben. Einer offiziellen Regierungsstatistik zufolge verdienten Wanderarbeiter im Perfluss-Delta bei Hongkong im Jahr 2005 durchschnittlich 60 bis 70 Euro pro Monat, wobei die Lebenshaltungskosten in dieser Region bei rund 80 Euro angesetzt waren. "Solch ein Einkommen reicht für vier Schüsseln gebratene Nudeln pro Tag", lautet das Fazit der Statistikbehörde.

In diesen Monatslohn sind alle Bonuszahlungen für Überstunden und Feiertagsarbeit einbezogen. Denn diese sind an der Tagesordnung: Wanderarbeiter arbeiten laut China Labor Bulletin in der Regel zwölf bis 14 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche, haben einen Tag pro Monat frei. Die 21-jährige Zhang, die innerhalb von vier Jahren in neun Fabriken gearbeitet hat, beschreibt ihren Arbeitsalltag so:

"Arbeitsbeginn war jeden Morgen um 7.30 Uhr, Schluss war frühestens um 23 Uhr. (…) Um 12 Uhr mittags gaben sie uns eine halbe Stunde Zeit zum Essen und zum Ausruhen, aber nach dem Essen sind alle wieder direkt an die Arbeit gegangen. Der beste Tag war Sonntag, da mussten wir nur bis 21.30 Uhr arbeiten. Wir waren an der Grenze unserer Kräfte. Einige wurden ohnmächtig vor Erschöpfung."

Auch Wang Yuangcheng, Mitglied des Nationalen Volkskongresses, sieht ein wachsendes Problem auf die Regierung in Peking zukommen. "Wanderarbeiter leben in provisorischen Unterkünften, können sich nur das billigste Essen leisten. Sie haben keinen Versicherungsschutz und bekommen erst mit Verspätung ihre Löhne. Von den Städtebewohnern werden sie als Bürger zweiter Klasse angesehen", sagt Wang.

Dennoch zögert das kommunistische Regime, das Hukou-System – eine der Grundlagen für die tägliche Diskriminierung von Millionen Menschen – grundlegend zu reformieren.

Ohne Meldepapiere keine Rechte

Chinas Hukou-System zwingt jeden Bürger, sich an seinem Wohnsitz registrieren zu lassen. Wer sich länger als drei Monate außerhalb des ihm zugewiesenen Wohnsitzes aufhält, muss eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis beantragen. Voraussetzungen dafür sind in der Regel ein Arbeitsvertrag, eine Arbeitserlaubnis vom Heimatstandort sowie ein polizeiliches Führungszeugnis - hinzu kommen Kosten für Ausstellungsgebühren und Schmiergelder. "Die Polizei gibt die Permits nicht so einfach heraus, man braucht gute Beziehungen (Guanxi)", zitiert der Bericht einen Wanderarbeiter in Peking.

Da die meisten der Wanderarbeiter weder alle nötigen Dokumente noch das Geld für solch einen "temporary permit" haben, bleiben sie ohne Papiere und damit illegal in den Städten. Sie sind in der Regel der Willkür ihres Arbeitgebers als "Sponsor" ausgeliefert, der um den unsicheren Status der Arbeiter weiß und ihnen meist auch keine Arbeitsverträge ausstellt - ein Teufelskreis.

Laut einer offiziellen Statistik des State Council Research Center hat jeder zweite Wanderarbeiter keinen Arbeitsvertrag - doch nach Schätzungen von Amnesty liegt die Dunkelziffer viel höher. Eine Untersuchung im Auftrag der Nationalen Volkspartei Ende 2005 ergab, dass weniger als 20 Prozent der chinesischen Unternehmen Arbeitsverträge nutzen. In Suizhou City bei Hubei überprüfte die Arbeitsbehörde insgesamt 134 Unternehmen: Nicht eines konnte Arbeitsverträge für seine Angestellten vorweisen.

[…]

"Es ist zu teuer, krank zu sein"

"Ich aß keine Krankenhausmahlzeiten, da ich fürchtete, sie seien zu teuer. Stattdessen brachte mir meine Cousine etwas zu essen. Nach einigen Tagen bekam ich keine Medikamente mehr, da niemand mehr dafür bezahlte."

Der Außenseiterstatus der Wanderarbeiter schließt sie auch aus dem Gesundheitssystem aus. Für sie ist es einfach "zu teuer, krank zu sein", so der Titel einer Untersuchung in Peking und Nanjing. Die meisten von ihnen sind nicht krankenversichert und begeben sich nur im äußersten Notfall ins Krankenhaus. "Die hohen Kosten für medizinische Versorgung und der fehlende Versicherungsschutz führen dazu, dass die meisten Wanderarbeiter entweder sich selbst behandeln oder versuchen, so lange wie möglich durchzuhalten", so das Ergebnis der Untersuchung.

Rund 90 Prozent der Wanderarbeiter sind nicht krankenversichert, ergab eine Dreijahresstudie in Shanghai. Zwei Drittel aller Frauen, die aufgrund von Komplikationen in der Schwangerschaft sterben, sind Wanderarbeiterinnen. Die Rate der Totgeburten ist bei ihnen doppelt so hoch wie unter den "Permanent Residents".

120 Dollar pro Tag oder Amputation

Entsprechend schlecht ist die Versorgung bei Arbeitsunfällen. Niemand fühlt sich für die Betroffenen zuständig. Der Amnesty-Bericht führt den Fall des Hilfsarbeiters Cha Guoqun an, der vom Land in die Küstenstadt Hangzhou gezogen war, um dort in einer Fabrik zu arbeiten. Als eine Schnittwunde in seinem Bein sich entzündete, ging er ins Krankenhaus.

Da er nicht krankenversichert war, stellte ihn der Arzt vor die Wahl: Entweder 120 Dollar pro Tag für die Behandlung zu zahlen (was mehr als sein Monatslohn war), oder sich das Bein amputieren zu lassen. Cha hatte Glück: Eine christliche Hilfsorganisation finanzierte den Aufenthalt in einer anderen Klinik, die sein Bein rettete.

Fehlende medizinische Versorgung ist auch deshalb ein Risiko, weil die meisten Wanderarbeiter auf engstem Raum, in primitiven Schlafsälen auf dem Firmengelände oder in übervölkerten Wohnungen außerhalb der Stadt leben. In Peking zum Beispiel diente das berüchtigte "Zhejiang Village" zeitweise als Unterkunft für 100.000 Wanderarbeiter, bevor die Gebäude 1996 wegen Baufälligkeit abgerissen wurden.

Während sich Städtebewohner als Permanent Residents staatliche Förderung sichern können, um Wohneigentum zu erwerben, bleibt den Wanderarbeitern diese Möglichkeit verwehrt - selbst dann, wenn sie als Temporary Residents ordentlich registriert sind. Selbst eine Aufenthaltserlaubnis hebt die Diskriminierung nach Herkunft nicht auf.

Die zurückgelassenen Kinder

"Es ist hart für uns. Aber wir hatten nicht angenommen, dass es für unsere Kinder genauso schwierig wird."

Mit diesen Worten reagierte ein chinesischer Wanderarbeiter in Peking darauf, dass die Schule für seine Kinder im Herbst 2006 kurzerhand von den Behörden geschlossen wurde. Die Serie von Schulschließungen in der Hauptstadt im vergangenen September verdeutlicht, dass China auch die Zukunft der bis zu 20 Millionen Kinder von Wanderarbeitern riskiert.

Da die meisten Wanderarbeiter nicht offiziell registriert sind und die Schulgebühren nicht zahlen können, ist ihren Kindern der Besuch einer staatlichen Schule in der Regel verwehrt. Es wird erwartet, dass die Kinder weiterhin in ihrem Heimatbezirk eine Schule besuchen, auch wenn die Eltern in die Stadt ziehen.

Oftmals greifen die Eltern zur Selbsthilfe und organisieren vor Ort private Schulen für ihre Kinder. Doch diese werden - wie jüngst in Peking - von lokalen Behörden wieder geschlossen, wenn sie bestimmte Auflagen (Sportplätze, Mindestgröße von Grünflächen) nicht erfüllen.

"Wir sehen die Kinder ein- oder zweimal im Jahr"

Viele Wanderarbeiter lassen aufgrund der Repressionen in den Städten ihre Kinder in der ländlichen Heimat zurück und geben sie in die Obhut von Verwandten. Eine Studie der Pekinger Renmin-Universität ergab, dass rund 23 Millionen Kinder in Chinas ländlichen Gebieten ohne ihre Eltern aufwachsen.

80 Prozent der Mütter, die sich als Wanderarbeiterinnen durchschlagen, sehen ihre Kinder nur ein- oder zweimal im Jahr, so ein weiteres Ergebnis der Studie. 12 Prozent gaben an, ihre Kinder "alle ein bis zwei Jahre" zu sehen. Die Folgen für die geistige und seelische Entwicklung der Kinder sind laut Amnesty-Bericht dramatisch: Die Vorschläge der Regierung, mehr Internate zu errichten oder Eltern und Kindern Zugang zu Videokonferenzen zu ermöglichen, werden den Verlust der Familie nicht kompensieren.

Viele Eltern können selbst zum Neujahrsfest nicht zu ihren Kindern zurückkehren, da ihre Arbeitgeber über den Jahreswechsel den Lohn einbehalten. So haben sie nicht einmal Geld für die Zugfahrt nach Hause.


 


 

29. Mai 2014 17:49

Luftverschmutzung in China Land im Smog


Es atmet sich nicht gut in China: Dieser Mann aus Peking hat sogar seinem Hund eine Maske aufgesetzt.


Chinas Straßenverkehr wächst jährlich um 20 Millionen Fahrzeuge, viele davon verpesten die Luft zum Atmen. Nun verbannt die Regierung sechs Millionen Dreckschleudern - ein PR-Gag, denn in Sachen Umweltschutz wären ganz andere Maßnahmen notwendig.

Die Nudelsuppe aus der Garküche hat einen giftigen Beigeschmack. Ein vorbeidröhnender Kleinlaster mit rostigen Felgen spuckt schwarzen Staub aus dem Auspuff. Abgas vernebelt die Plastiktische entlang der Bordsteinkante. Nudelesser und Politiker sind gleichermaßen genervt von solchen Fahrzeugen. Sie verderben einem die Lust auf Garküchen und schlimmer noch: Sie verpesten die Luft zum Atmen. Deshalb verbannt die chinesische Regierung fast sechs Millionen solcher Dreckschleudern wie den Kleinlaster aus dem Verkehr. Sie hofft, so die Luftqualität in den Städten zu verbessern.

Doch das Verbot wird das Problem nicht lösen. Chinas Straßenverkehr wächst jedes Jahr um mehr als 20 Millionen Fahrzeuge, Tendenz steigend. Ein paar Millionen der schlimmsten Umweltsünder zu sperren ist gut - aber kaum mehr als ein populistischer PR-Gag. Gegen die Luftverschmutzung helfen ganz andere Mittel, zum Beispiel der effiziente Umgang mit Energie.

China ist nicht nur der größte CO₂-Emittent der Welt, sondern seit vielen Jahren wohl auch der sorgloseste. Zwar weist die Regierung auf ihren geringen Pro-Kopf-Ausstoß hin. Viele Chancen, die Probleme zu lösen, hat China in den vergangenen Jahren allerdings nicht genutzt, denn das Wirtschaftswachstum stand an erster Stelle.

 

WHO-Analyse Millionen Tote wegen Luftverschmutzung


Die Weltgesundheitsorganisation schlägt Alarm: Sieben Millionen Menschen sterben nach einer WHO-Analyse jedes Jahr an den Folgen der Luftverschmutzung. Das ist jeder achte Todesfall weltweit.

Der einzige Ausweg: Chinas Städte müssen schnellstmöglich technologisch so aufgerüstet werden, dass sie Energie auf breiter Front effizient nutzen. Gebäudedämmung, Kühlsysteme, kluge Stromnetze - all das wäre problemlos machbar. Die Technologie ist im Land vorhanden. Doch ihr Einsatz würde die Volksrepublik ein Vermögen kosten. Peter Lacy vom Beratungsunternehmen Accenture beziffert das finanzielle Volumen auf mehrere Hundert Milliarden Euro.

Der Brite sitzt vor einem frisch gepressten Fruchtsaft. Vitamine sind gut für die Gesundheit, wenn schon die Shanghaier Luft an diesem Vormittag den Standards der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge als ungesund eingestuft wird. Gemeinsam mit der chinesischen Akademie der Wissenschaften CAS entwickelten die Berater von Accenture einen Index, der die Nachhaltigkeit des Wachstums in den Millionenstädten ermittelt.

Vor allem die Metropolen schlagen sich verhältnismäßig gut, sind aber weit davon entfernt, das gesamte Potenzial abzurufen. "Unsere Absicht ist es, einen Wettbewerb der Städte untereinander zu provozieren, der sich nicht nur auf reines Wachstum beschränkt, sondern auch Nachhaltigkeit erfasst", sagt Lacy.

Die optimistischen Ziele sind in weiter Ferne


Nur langsam ist die Dringlichkeit von drastischer Energieeinsparung und Umweltschutz ins Bewusstsein der autoritär regierenden kommunistischen Parteikader gerückt. 2011 verfasste der Staatsrat einen nationalen Entwicklungsplan, um Urbanisierung, Wirtschaftswachstum, die Verwendung von Ressourcen und den Umweltschutz unter einen Hut zu bekommen. Doch die optimistischen Ziele sind noch immer in weiter Ferne.

Den eigenen Vorgaben des Fünfjahresplanes hinkt Peking beim Energiesparen hinterher. Die Zeit wird knapp, nicht nur weil staatliche Vorgaben verfehlt werden könnten, sondern auch, weil der Raubbau an der Natur als Folge des Hyperwachstums der vergangenen drei Jahrzehnte immer mehr zutage tritt. Auch Flüsse, Seen, Grundwasser und Ackerböden sind zu weiten Teilen vergiftet. Die Bevölkerung wird immer wütender und schreit nach Lösungen. Jeden Tag zählen die Behörden im ganzen Land mehrere Dutzende Proteste, die sich ausschließlich gegen Umweltprobleme richten.

Um die Probleme zu lösen, müssen alle an einem Strang ziehen


An vollmundigen Ankündigungen hat es in China nie gemangelt. Die Umsetzung ist seit jeher die größte Herausforderung. Denn um die Probleme zu lösen, müssen alle an einem Strang ziehen: staatseigene Unternehmen mit ihren vielfältigen Interessen, aber auch die Privatwirtschaft, die Konsumenten und die unterschiedlichen Lager der Politik.

"Ein wichtiger Schritt wären Preismechanismen, die Anreize schaffen, Energie zu sparen", sagt Lacy. Viele Wirtschaftsunternehmen würden dann teurer, aber nachhaltiger in neue Anlagen investieren. Kleine Schritte gibt es bereits: Seit November vergangenen Jahres sind Firmen verpflichtet, übermäßigen CO₂-Ausstoß in Form von Emissionskrediten zu bezahlen. Wer über seiner Quote liegt, dem geht es ans Geld. Theoretisch.


Ob die Umsetzung in der Praxis tatsächlich gelingt? Fraglich. Denn immer wieder drücken lokale Regierungen ein Auge zu, wenn sie Investoren damit in ihre Region locken können. Denn der Verkauf von Land an Firmen sowie Steuereinnahmen von örtlicher Industrie sind meist die einzigen Einnahmen der Kommunen.

"Das Grundinteresse an effizienter Technologie ist vorhanden, wenn man es gut vermarkten kann", sagt Marco Abdallah von Drees & Sommer, einem Beratungsunternehmen für nachhaltiges Wachstum. Oftmals scheitern gute Ideen und Konzepte aber am Preis, weil den Investoren nicht einleuchten will, weshalb sie zusätzliche Kosten stemmen sollen, wenn sie kurzfristig nicht einmal davon profitieren können. Wer in attraktiver Lage baut, wird seine Wohnungen oder kommerziellen Gebäude so oder so los, ob er sich nun für energieeffiziente Kühlsysteme entscheidet oder nicht.

Unter diesen Umständen in aller Kürze einen landesweiten Schulterschluss zu erzielen, ist umso schwieriger. Wenn es dennoch gelingt, ist das gut für das Land und gut für die Welt. Ein Ruhekissen wäre es aber nicht. "Energiesparende Maßnahmen können das Wachstum der Emissionen verlangsamen. Stoppen werden sie es auf absehbare Zeit nicht", sagt Abdallah.

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